MTV Kronberg wird bei weltweiter Trainersuche fündig

„Fünf vor zwölf“ sei es für die geschrumpfte Turnabteilung gewesen, meint Geschäftsführer Crnjac. Die neue Kronberger Übungsleiterhoffnung hat schon bei der WM geturnt und kommt aus Algerien.

Kronberg -Was das Internet alles bewirkt – nicht nur Schlechtes. Die meisten Brautpaare dieser Zeit beantworten beispielsweise die Frage, wo sie sich kennengelernt haben, mit: „Im Internet.“ Als Jobbörse dient das World Wide Web ebenfalls, wobei weltweit im Fall des MTV Kronberg ruhig wörtlich genommen werden darf.

Miljenko Crnjac ist als Geschäftsführer eines der größten Sportvereine im Hochtaunus (mit gut 3100 Mitgliedern, darunter 1400 Kinder und Jugendliche) für den Bereich „Sport und Personal“ zuständig, eine treibende Kraft in der neuformierten Führungsriege, die sich über die Überalterung im Vorstand, aber durchaus auch im Trainerstab, Gedanken machen muss, wie das in vielen, vielen Vereinen halt so ist.

Beim MTV etwa wurde es bei den Turnern ganz offensichtlich Zeit für einen Neuanfang. Was in einem „Männer-Turn-Verein“ durchaus von Bedeutung ist. Wolfgang Melber, der die Abteilung leitet, und der langjährige MTV-Geschäftsführer Martin Schreck erhielten dieses Vereinsangebot durch „unermüdlichen Einsatz über viele Jahrzehnte hinweg“ aufrecht, sagt Crnjac. Obwohl sich beide schon im Rentenalter befinden, standen sie pro Woche an mehreren Tagen auf der Matte. „Ohne deren Engagement gäbe es die Turnabteilung nicht mehr“, stellt Crnjac heraus. Sie ist mit rund 140 Kindern und Jugendlichen inzwischen verhältnismäßig klein.

Für einen Berufstrainer war es allerhöchste Zeit geworden, darüber sei man sich beim MTV schon lange einig gewesen, so Crnjac, und hauptamtliche Mitarbeiter sind dem finanzkräftigen Verein, der aufgrund seiner Größe längst ein kleiner Wirtschaftsbetrieb ist, nicht fremd, 16 sind es derzeit an der Zahl. Nur erst mal einen Turntrainer finden. . .

Crnjac, der einst selbst zu Beginn des Bürgerkrieges aus dem ehemaligen Jugoslawien im Alter von 21 Jahren nach Deutschland kam, verfolgt einen globalen Einsatz. Als Sportlicher Leiter der Basketball-Abteilung, für die er schon seit 1995 wirkt, weiß er: „Nur gute Trainer bringen gute Athleten heraus.“ Dabei spiele die Herkunft keine Rolle.

Also vergrößerte der Kroate seinen Radius aufgrund des offensichtlichen Fachkräftemangels an Profi-Turntrainern. Er sei über Webseiten von Verbänden gegangen, habe sich in Internetforen zum Thema „Gymnastics“, womit im Englischen das Turnen gemeint ist, schlau gemacht, nachgefragt, nachgehakt. „Mit bestimmt 40 bis 50 Leuten weltweit“ stand Crnjac in Kontakt. Einen davon, Walid Hacib, seit sieben Jahren Fördertrainer des Olympischen Komitees von Katar, wollte er eigentlich nur nach einem Tipp fragen. Der 31-jährige Algerier schlug sich selbst vor.

Das war im Juni vergangenen Jahres. Nicht nur Crnjac, auch Vorsitzender Peter Rößler und Aiken Marino, Vorstand Finanzen, hatten gleich ein gutes Gefühl. Denn der sechs Flugstunden entfernte Gesprächspartner in Doha war nicht nur selbst mehrfach Goldmedaillengewinner bei kontinentalen Meisterschaften (am Pauschenpferd), hatte auch an den Weltmeisterschaften in Rotterdam (2010) und Antwerpen (2013) teilgenommen und war beim Welt-Cup in Slowenien Zwölfter geworden. Er kann mit seinem Wissen über die Sportart auch andere begeistern.

Zunächst habe man das kostspielige Projekt nicht alleine schultern wollen, daher beim TV Weißkirchen und der TSG Schönberg zwecks einer Kooperation angefragt. Die winkten jedoch ab, so Crnjac, also beschloss die MTV-Führung, Hacib im Juli Flug und Unterkunft für eine Probetrainingswoche in Kronberg zu zahlen. Rasch habe der Algerier große Sympathien erlangt, „Athleten, Trainern und Eltern war klar: Der MTV ist auf dem Weg, einen Toptrainer zu verpflichten.“ Hacib entschied sich gegen Angebote aus Hongkong und Kanada und für einen Umzug in den Taunus.

Drei Mal pro Woche im Einsatz

Bis es so weit war, dauerte es freilich noch eine Weile, dabei war die Wohnungssuche das geringste Problem. Jetzt geht der Dank des MTV-Vorstandes an die Arbeitsagentur Frankfurt, die Ausländerbehörde des Hochtaunuskreises und die Stadt Kronberg für ihre Unterstützung. Der frühere WM-Teilnehmer hat seine ersten Einheiten geleitet, ist bisher drei Mal pro Woche im Einsatz.

„Mit Walid hat die Turnabteilung im MTV nicht nur einen sehr erfahrenen Trainer, sondern auch einen achtenswerten Menschen und Sportler, der ein Vorbild für unsere Turnerinnen und Turner im Umgang miteinander sein wird“, glaubt Vorsitzender Rößler. Mit ihm könne das Turnen in Kronberg und Umgebung wieder zu alter Stärke finden.

Hacib selbst, der sehr gut Englisch spricht und bald auch Deutsch lernen möchte, hat sich hohe Ziele gesteckt. „Meine Trainingsphilosophie besteht darin, die Kinder zu begeistern, dass sie diese Disziplin lieben“, sagt er, „um dann talentierte Turner weiterzuentwickeln, die einmal an nationalen Meisterschaften teilnehmen können.“

Da muss Crnjac ihn noch ein wenig bremsen. „Mittel- und langfristig wollen wir auch wieder eine Adresse für leistungsorientiertes Turnen werden“, sagt der Geschäftsführer für Sport und Personal. „Wir brauchen jetzt Geduld und viel Arbeit.“ Mit Walid Hacib plane der Vereine eine langfristige Partnerschaft. Am besten so, wie es auch in einer harmonischen Lebensgemeinschaft läuft, die mittlerweile oft mit einer Nachricht im Internet beginnt.

Dieser Artikel ist im Original in der Frankfurter Neuen Presse erschienen und wurde von Thorsten Remsberger geschrieben

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